Inverse Probleme in der Mathematik: Damit befassen Sie sich in Ihrem Forschungsprojekt – unterstützt durch den Österreichischen Wissenschaftsfonds. Doch was ist das?
BARBARA KALTENBACHER: Im Allgemeinen geht es um die Bestimmung von verborgenen Ursachen aus beobachteten Wirkungen. Konkret geht es darum, physikalische, medizinische, biologische Objekte, die nicht direkt zugänglich sind, über die man aber nähere Informationen braucht, aus indirekten Beobachtungen zu bestimmen und zu beschreiben. Methoden zum Lösen solcher inverser Probleme werden manchmal als „Inverse Verfahren“ bezeichnet.
Wo finden inverse Probleme ihre Anwendung?
Stellen Sie sich vor, Sie fahren über eine Brücke, dann möchten Sie sicher sein, dass diese intakt ist. Risse im Inneren des Betons, die sich mit der Zeit bilden, sind oft von außen nicht sichtbar. Man kann aber aus der messbaren Schwingungsreaktion der Brücke auf die Anregungen durch den darüberfahrenden Verkehr solche Defekte lokalisieren. Hier kommen inverse Verfahren zum Einsatz. Im Prinzip ähnlich, aber auf einer anderen Größenskala und nach anderen physikalischen Gesetzen, kann man elektronische Bauteile, von denen es im Auto viele gibt, auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüfen, ohne sie zu zerlegen. Man spricht hier von zerstörungsfreier Werkstoffprüfung.
Warum braucht es dafür die Mathematik?
Um bei dem obigen Beispiel zu bleiben: In der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung werden inverse Methoden oft von Ingenieuren entworfen. Hier ist die Mathematik nicht nur Ideenlieferant. Sie hat auch die Werkzeuge, um zu beurteilen, ob diese Verfahren funktionieren. Das heißt, das ausrechnen, was sie ausrechnen sollen. Auch bei der Entwicklung eines mathematischen Modells für die realen Gegebenheiten, also um das Problem erst für Berechnungen zugänglich zu machen, ist Mathematik im Einsatz.
Was unterscheidet Ihre Arbeit von der anderer Wissenschaftler in diesem Bereich?
Der neue Ansatz in meinem Projekt besteht darin, einerseits das mathematische Modell – zum Beispiel für elektronische Bauteile unter verschiedenen Belastungen – und andererseits die Beobachtungsgleichungen – also den Konnex zu den gemessenen Daten – in einem ganzheitlichen System auf einmal zu betrachten. Bisher wurde das meist in zwei Schritte aufgeteilt: Zuerst wird mit einer Näherung für die Parameter das Modell berechnet und dann das Ergebnis mit den indirekten Messdaten verglichen. Das wird – nach Anpassung der Parameter – wiederholt und zwar so lange, bis die Beobachtungen zu den tatsächlichen Messungen passen. Mit meinem Zugang erwarte ich, dass die Berechnungen direkter funktionieren und so beschleunigt werden.
Wie kann damit Menschen geholfen werden?
Bei den Anwendungen in der medizinischen Bildgebung etwa bei Tumorerkennung liegt das auf der Hand. Aber auch in der Technik oder in der Biologie möchte man oft in einen „Körper“ – ein Werkstück, ein Bauteil, ein durchströmtes Rohr, eine lebende Zelle – hineinschauen, ohne diesen aufzuschneiden. Inverse Verfahren spielen hier eine Rolle.
Denken wir noch größer: Wo finden inverse Probleme außerdem ihre Anwendung?
Eine weitere faszinierende Anwendung, die ich erst vor einigen Wochen kennengelernt habe, und an der Forscher der Universität Göttingen arbeiten, ist die Heliseismologie: Was kann man aus Beobachtungen der Sonnenoberfläche über das Innere der Sonne schließen? Ähnliches wird schon seit Jahren auf der Erde gemacht. Bei der Sonne ergeben sich klarerweise besondere messtechnische und letztlich mathematische Herausforderungen.
Esther Farys