Die EU-Kommission sieht Österreich nicht mehr als Musterschüler in der Union. Das sagte der Leiter der Kommissionsniederlassung in Wien, Johann Sollgruber, am Freitag. "Die öffentliche Verschuldung beträgt 2015 86,8 Prozent. Das ist nur knapp unter dem Schnitt der Eurozone", so einer der Kritikpunkte der Kommission im Rahmen der länderspezifischen Empfehlungen.
Mit der Wachstumsprognose von 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für heuer habe sich Österreich gar "vom Durchschnitt abgekoppelt". Es sei "klar, dass Österreich im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit an Terrain verloren hat", sagte Sollgruber. Reformen seien rasch umzusetzen. Bei der Steuerreform vermisse man aber Gegenfinanzierungen.
Budget-Belastung durch Heta noch unklar
Die EU-Kommission begrüßt zwar die Schaffung der Abbaueinheit Heta für die frühere Skandalbank Hypo Alpe Adria und sieht auch Fortschritte bei der ÖVAG, aus der sich der Staat verabschiedet. Aber: "Wir haben bei der Heta noch keine hinreichende Klarheit, wie stark der Staatshaushalt belasten wird", so der wirtschaftspolitische Koordinator der EU-Kommissionsvertretung in Wien, Marc Fähndrich.
Eine rechtliche Einschätzung wollte Fähndrich nicht abgeben, verwies auch darauf, dass dies in den länderspezifischen Empfehlungen, die heute in Wien für Österreich präsentiert wurden, nicht der Fall ist. Es geht ja in der Hypo-Abwicklung auch darum, wie die EU-Kommission in ihrer Prüfung entscheiden wird, ob die neue EU-Richtlinie zur Bankenabwicklung durch Österreich überhaupt angewendet werden kann.
"Viele rechtliche Unklarheiten"
"Es gibt sehr viele rechtliche Unklarheiten", so der EU-Kommissionsvertreter. Auch Gerichte müssten die Vorgänge klären. "Primär ist es aber gut, dass das Abwicklungsvehikel geschaffen wurde, auch wenn das zu lange verschlafen wurde. Den jetzt angegangenen Weg sollte man weitergehen, dann ist irgendwann ein Ende in Sicht", so Fähndrich.
Der Chef der EU-Kommissionsvertretung in Österreich, Johann Sollgruber, strich hervor, dass das "Zahlungsmoratorium, das der Finanzminister verhängt hat, bei einer ersten Überprüfung in Einklang mit neuer EU-Gesetzgebung" stand.
Steuerreform: Fragen zur Gegenfinanzierung
Bisher hat die EU-Kommission nur "einen groben Entwurf zum Aus des Bankgeheimnisses" gesehen, sonst kennt sie noch keine Gegenfinanzierungsmaßnahmen der Steuerreform aus Österreich. Die Kommission fordert aber, dass "sichergestellt wird, dass die Steuerreform budgetneutral ist", sagt Fähndrich.
"Die Berechnungen der österreichischen Bundesregierung sind erst nachvollziehbar, wenn Texte vorliegen", so der Fachmann der EU-Kommission. So kalkuliere die EU-Kommission in ihrer Berechnung etwa 900 Millionen Euro Einnahmen aus der Betrugsbekämpfung-Neu. Österreich rechnet mit 1,9 Milliarden Euro - also gleich einer Milliarde Euro mehr.
Johann Sollgruber sagte zur Berechnung der Bundesregierung: "Das Volumen bei der Betrugsbekämpfung ist schwer nachvollziehbar." Positiv hob er die "Initiative Wiens gegen Karussellbetrug" hervor. Insgesamt sei die Kommission aber "gut beraten, vorsichtig zu sein" bei Berechnungen Österreichs, weil ja schließlich auch die Finanztransaktionssteuer über Jahre budgetiert worden sei, ohne dass diese tatsächlich floss, so Sollgruber.
Schlussendlich könnte Österreich auch ein EU-Verfahren "des präventiven Armes" im Rahmen des Wachstums- und Stabilitätspaktes drohen, so Fähdnrich. Denn das Defizit 2016 könnte wegen der Steuerreform und der aus Brüsseler Sicht tendenziell offenen Gegenfinanzierung stärker steigen, als dies EU-Regeln an und für sich erlaubten. "Wir brauchen Details, um die Berechnungen nachvollziehen zu können", so Fähndrich.
Budgetziel "erfreulicherweise" erreicht
Das strukturelle Budgetziel habe Österreich "erfreulicherweise" im Vorjahr, wie die neuesten Berechnungen zeigten, erreicht, so Fähndrich. Es zeige sich aber, "dass Österreich jetzt den Rückwärtsgang einlegt". Die mittelfristigen strukturellen Defizitziele für 2015 und 2016 könnten in Gefahr sein. Denn die EU rechnet heuer nicht mehr ganz mit der Erreichung eines strukturellen Defizits von 0,8 Prozent und sieht für 2016 sogar eines in Höhe von 1,9 Prozent.
Pensionsreformen gefordert
Ein Dauerbrenner bei den länderspezifischen Empfehlungen der EU-Kommission an Österreich ist das Einmahnen von Reformen im Pensionssystem. Es geht um eine "Verbesserung der langfristigen Tragfähigkeit des Pensionssystems". Das Antrittsalter von Frauen und Männern gehöre früher als geplant harmonisiert. Auch brauche es eine automatische Kopplung des Antrittsalters an die Lebenserwartung.
"Österreich ist eher südeuropäisch angehaucht, was das Pensionsantrittsalter betriff", sagt Fähndrich. Einmal mehr wurde Schweden als Vorbild genannt. Wie dort sei auch in Österreich ein Automatismus wegen der steigenden Lebenserwartung gefordert - auch im Sinne der Menschen, die so besser planen könnten, so der EU-Fachmann. "Für junge Leute ist hier die künftige Pension unkalkulierbar", lautet eine Kritik.
Frauen erhielten durch eine Anpassung auch bessere Karrierechancen. Es gebe aber derzeit nicht nur eine Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern sondern auch eine Schere bei der Pensionshöhe der Frauen.
Die Karrierechancen für die hierzulande im EU-Vergleich sehr gut ausgebildeten Frauen - die zu einem immensen Anteil nur teilzeitbeschäftigt seien, aber anteilig häufiger Hochschulabschlüsse als Männer haben -, müssten auch durch eine bessere Betreuungsquote für Kinder gesteigert werden, so die EU-Kommission. Denn Österreich liege hier weit unter den sogenannten Barcelona-Zielen. Beispielsweise würden hierzulande nur 23 Prozent der Kinder unter zwei Jahre außerhalb der Familie betreut, gefordert sei aber ein Quote von 33 Prozent.
"Arbeitslose nicht verstecken"
Die angedachte und von Unternehmens- bzw. Industrieseite massiv kritisierte Idee eines Bonus-Malus-Systems zur verstärkten Beschäftigung älterer Arbeitnehmer bezeichnete Fähndrich aus "persönlicher Sicht" als "sicher hilfreich, das ist eine Möglichkeit". Insgesamt dürfe Arbeitslosigkeit jedenfalls nicht im Pensionssystem versteckt werden.
Fähndrich kündigte Gespräche der EU-Kommissionsvertretung mit Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und heimischen Thinktanks zum Pensionsthema an. Das effektive Pensionsantrittsalter beläuft sich in Österreich laut EU-Kommission auf 59,7 Jahre, im EU-Schnitt auf 63,1 Jahre.