Vor eineinhalb Jahren als Hoffnungsträger gestartet, dümpeln die Neos derzeit als politische Marginalie vor sich hin. Vor einem Jahr waren sie in allen Umfragen solide zweistellig, bei den EU-Wahlen schafften sie 8,1 Prozent, in Salzburg überholten sie mit 12,4 Prozent sogar die FPÖ. Politikexperte Peter Filzmaier meinte damals: "Die "Neos können gar nichts falsch machen." Und heute? 5,1 Prozent bei den Gemeinderatswahlen in der einst pinken Hochburg Vorarlberg, 4,1 Prozent in Niederösterreich, bescheidene 3,8 Prozent in Kärnten, und zuletzt schlappe 3,3 Prozent in der Steiermark. War's das mit den Neos? Ist der pinke Traum ausgeträumt? Matthias Strolz, ein moderner Ikarus, der sich an der Innenpolitik die Finger verbrannt hat? Entzaubert, wie manche hämisch meinen, als politischer Luftikus?

Ich bin ernsthafter, nachdenklicher geworden", räumt Matthias Strolz, Parteigründer, Parteichef und Klubchef in einer Person, im Gespräch mit der Kleinen Zeitung ein. Am Gründonnerstag schrieb er noch bis tief in die Nacht an einem Buchbeitrag: "Wie baue ich eine Partei?" Am Karfreitag packte er die Familie ins Auto, um über Ostern auszuspannen. So nebenbei deutet er an, dass er um Weihnachten herum offenbar nahe dran war, alles hinzuschmeißen. "Ich hatte einen ernsten Hänger. Zum Glück habe ich es geschafft, mich wieder aufzurichten." Emotional habe er die Herausforderung des pinken Projektes ganz einfach unterschätzt.

Das als "annus mirabilis" begonnene Jahr 2014 endete als "annus horribilis". Inferiore Spitzenkandidatinnen bei der EU-Wahl und in Vorarlberg, völlig aus dem Ruder gelaufene Debatten über die Wasserprivatisierung, die Wohnbauförderung, Cannabis-Legalisierung. "Unsere Leute kommen aus dem echten Leben und sind keine in Parteikadern geschulte Politprofis", verteidigt Strolz die Ausrutscher, um selbstkritisch hinzuzufügen: "Wir haben unseren Mitbewerbern durchaus einige Bälle aufgelegt, die sie ganz leicht verwerten konnten." Und nach einer Nachdenkpause: "Eine problematische Person kann mehr kaputtmachen als 50 gute Kandidaten."

Und dennoch haben die Neos bereits tiefere Spuren hinterlassen und die politische Landschaft verändert, am allermeisten in der ÖVP. Ohne Neos hieße der Spindelegger-Nachfolger vielleicht nicht Reinhold Mitterlehner, sondern Johanna Mikl-Leitner, ohne Neos kein ÖVP-Evolutionsprozess unter Harald Mahrer. Im Vergleich zu Hans Jörg Schelling sieht Strolz heute sogar alt aus. Mitterlehner & Co haben Strolz & Co teils das Wasser abgegraben, auch inhaltlich. Bildung und Pensionen, die die Koalition - nach eigenem Bekunden - nach jahrelanger Vogel-Strauß-Politik nun ernsthaft anpacken wollen, sind die beiden großen pinken Kernthemen.

Den Einzug in den Nationalrat 2013 verdanken die Neos (auch das Team Stronach) der großkoalitionären Sklerose und der Endzeitstimmung in der Spindelegger-ÖVP. "Die Sehnsucht nach dem Neuen war groß. Wir könnten die Sehnsucht einige Monate bedienen. Die Leute haben gar nicht auf unsere Inhalte geschaut", gibt Strolz offen zu. Heute weiß der Neos-Chef: "Nur neu zu sein, ist zu wenig." Immerhin haben die Neos noch eine Zukunft - im Vergleich zum Auslaufmodell Team Stronach. Oder zum BZÖ, das in den letzten Zuckungen liegt.

Nach den Turbulenzen scheint Strolz wieder festeren Boden unter den Füßen gefunden zu haben. Über die Rückschläge versucht sich der Neos-Chef mit dem Verweis auf die Grünen hinwegzutrösten: "Die Grünen haben es erst im zweiten Anlauf ins Parlament geschafft, wir auf Anhieb. Ich will nicht leugnen, dass uns der Aufstieg nicht schnell genug geht." Bei der Landtagswahl in Wien peilt man sieben Prozent an, in der Steiermark zwei Mandate, in Burgenland den Einzug. Bis Jahresende hofft Strolz auf 100 Mandate in Gemeinden, Landtagen, Nationalrat. Man ist bescheidener geworden.

In dem Buchbeitrag für ein Kompendium von Politikexperte Thomas Hofer enthüllt Strolz Schmankerl über die pinke Geburtsstunde: dass der Name Neos der Ehefrau eines Vorstandsmitglieds auf der Urlaubsfahrt nach Italien in den Kopf geschossen ist. Und dass am Anfang noch andere Farben zur Auswahl standen: Apfelgrün, Violett, Gelb, Petrol.

Michael Jungwirth