Wer Katherine Waterston im Vorjahr in "Inherent Vice" erleben durfte, wusste: Das ist erst der Anfang. Ein Jahr später ist die New Yorkerin in Danny Boyles "Steve Jobs" zu sehen, dreht das Harry-Potter-Spinoff "Fantastic Beats" - und ist Regisseur Paul Thomas Anderson dementsprechend dankbar. "Wenn jemand derart auf dich setzt, ändert das einfach alles", sagt die 35-Jährige im APA-Interview.

Denkwürdig war vor allem der minutenlange Monolog, den die damals weitgehend unbekannte Aktrice als mysteriöse Shasta Fay in Andersons Neonoir-Krimikomödie gab - nackt und den Schauspielkapazunder Joaquin Phoenix an die Wand spielend. Auch in "Steve Jobs", der am Freitag anlaufenden Hollywoodproduktion über den verstorbenen Apple-Gründer, hat Waterston wenige, aber umso bedeutendere Auftritte. Sie verkörpert Chrisann Brennan, Jobs' Highschoolfreundin und Mutter seiner Tochter Lisa, die er lange nicht als sein Kind annehmen oder finanziell unterstützen wollte. Die Wortgefechte, die Waterston als Brennan mit Michael Fassbender als Jobs hinter den Kulissen von Apple-Produktpräsentationen austrägt, gehören zu den emotionalsten, intensivsten Momenten des Films.

"Ich hatte keinerlei Schwierigkeiten, mich in Chrisanns Empörung, Frustration und Verzweiflung hineinzufühlen", sagt Waterston. Die Tochter des namhaften britischen Schauspielers Sam Waterston ("Law & Order") hat zwar selbst keine Kinder, "aber allein die Vorstellung, sein Kind beschützen zu wollen und einem Vater gegenüber zu stehen, der so wenig Interesse und keinerlei Willen zur Unterstützung zeigt, hat mich so aufgeregt, dass ich es gar nicht erwarten konnte, mich in die Szenen zu werfen und für mein Kind zu kämpfen."

Die Schauspielerin sah sich dabei mit der Herausforderung konfrontiert, die rasanten Dialoge von Drehbuchautor Aaron Sorkin zu beherrschen und doch möglichst überrumpelt auf ihr Gegenüber zu reagieren. "Es ist etwas knifflig, in so eine Situation bereit und doch unvorbereitet hineinzugehen, es widerspricht sich, aber genau das habe ich versucht", so Waterston, die glaubt, dass es ihrem realen Vorbild ähnlich gegangen sein muss. "Auf gewisse Art und Weise ist es wie vor Gericht, wo sie ihre Aussagen vorbereitet hat. Aber Steve ist so schnell, so bissig und gerissen, dass sie nie wirklich darauf vorbereitet sein konnte."

Den aufgeheizten Dialogen im Film liegen neben Walter Isaacsons Jobs-Biografie auch Aaron Sorkins Treffen mit der mittlerweile 37-jährigen Lisa Brennan-Jobs zugrunde. "Das hat uns sehr dabei geholfen, die Beziehung ihrer Eltern zu verstehen", meint Waterston, wenn sie auch einräumt: "Sogar wenn man selbst Teil einer Beziehung ist, versteht man kaum, was sich wirklich abspielt. Also wird ein Außenstehender es kaum punktgenau treffen." Dementsprechend habe sie eine "enorme Verantwortung" gegenüber den realen Personen gefühlt, Videos von Chrisann angesehen und ihr Buch "The Bite in the Apple" gelesen, aber davon abgesehen, sie zu imitieren - was auch schwer gewesen wäre, lacht sie: "Ich bin über 1,80 Meter groß und habe braune Augen, Chrisann war eine kleine Frau mit blauen Augen."

Wenn Waterston an eine Rolle rangeht, sagt sie, recherchiert sie oft, ohne genau zu wissen, "wonach ich eigentlich suche". "Ich nehme einfach alles auf, versinke komplett darin und was in die Performance einfließt, fließt eben ein. Ich mache mir keine Gedanken darüber, bestimmte Aspekte abzuhaken oder etwas perfekt auszuführen. Perfektion interessiert mich nicht, eher, so viel zu lernen wie möglich, um dann im Moment die Möglichkeit zu haben, auszudrücken, was ganz natürlich zum Vorschein kommt. Ich will das nicht kontrollieren."

Ebenso natürlich, so scheint es, hat sich auch Waterston nach Theaterengagements und Nebenrollen in u.a. "Michael Clayton" oder "Night Moves" ganz nach oben gekämpft. Ihr Bekanntheitsgrad dürfte sich 2016 noch einmal steigern, wenn sie als Hexe Porpentina Goldstein an der Seite von Eddie Redmayne im mit Spannung erwarteten Fantasy-Abenteuer "Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind" zu sehen ist. In ihrer Geburtsstadt London steht sie aktuell für das "Harry Potter"-Spinoff vor der Kamera, daneben ist sie weiter in der Independent-Szene umtriebig, brillierte etwa zuletzt in Alex Ross Perrys Psychothriller "Queen of Earth", der soeben auf der Viennale zu sehen war.

Dem Gespür von Regisseuren allein ist dafür nicht zu danken - seien doch etwa die Castingdirektorinnen Cassandra Kulunkundis ("Inherent Vice") und Francine Maisler ("Steve Jobs") "langjährige Unterstützerinnen". "Castingdirektoren sind die anonymen Helden dieser Branche, weil sie dich zuerst finden und nicht mehr vergessen, wenn ein Regisseur dich ablehnt", sagt Waterston. "Karrieren werden aufgrund ihres hervorragenden Erinnerungsvermögens geschaffen."

ANGELIKA PAWDA/APA