Bob Dylan hat in den Jahren 1965 bis 1966 innerhalb von 14 Monaten drei der einflussreichsten Rockalben aller Zeiten aufgenommen und damit seine Metamorphose vom Folk- zum Rockstar vollzogen. Die Wandlung dokumentiert ab Freitag "The Cutting Edge" (Sony Music), die zwölfte Ausgabe der "Bootleg Series" (siehe Infobox), die alternative Versionen von Klassikern wie "Like A Rolling Stone" enthält.

Dylan war Anfang der 60er-Jahre der strahlende Stern am Folk-Himmel und zum "Sprecher einer Generation" emporgehoben worden. Sein Auftritt 1963 beim Newport Folk Festival, wo er zum Finale Hand in Hand mit Peter, Paul and Mary, Joan Baez und Pete Seeger die Bürgerrechtshymne "We Shall Overcome" sang, untermauerte diesen Ruf. Doch Dylan hatte andere Pläne. Als er 1965 in Newport erneut auf die Bühne ging, brachte er eine Band und "elektrische" Songs mit - die Reaktionen zählen zu den Rockmythen schlechthin.

Elektrischer Bob

Erstes Vorzeichen auf eine Veränderung war das Album "Bring It All Back Home", dessen ausschließlich mit den elektrisch verstärkten Instrumenten eingespielte erste Seite einen deutlichen Kontrast zum bisherigen Schaffen Dylans darstellte. Der ebenfalls 1965 aufgenommene und zunächst auf Single, dann auf dem bahnbrechenden Album "Highway 61 Revisited" veröffentlichte Song "Like A Rolling Stone" machte Dylan endgültig zum Rockstar, der sich bis heute in seiner Karriere wenig um Erwartungen schert.

"Like A Rolling Stone" wurde bereits im Radio gespielt, aber welchen "Radau" Dylan mit Band - u.a. mit Mike Bloomfield an der Gitarre und Al Kooper an der Orgel - in Newport 1965 veranstaltete, darauf waren weder das Publikum noch die Festivalorganisatoren gefasst. "Für Leute, die niemals eine laute Rockshow gehört haben, also so gut wie alle dort, war die Lautstärke schockierend, berauschend oder qualvoll", schreibt Elijah Wald in seinem Buch "Dylan Goes Electric!". "Dieser Lärm ist schrecklich", soll Folk-Legende Pete Seeger verzweifelt gerufen haben. Manche buhten, manche jubelten. "Es war auf alle Fälle verwirrend", fasst es ein Augenzeuge zusammen.

Alte Freunde, neue Fans

Mit Erscheinen von "Blonde On Blonde", dem ersten Rock-Doppelalbum überhaupt, war Dylan endgültig vom Folkie zum Popstar mutiert, zum Missfallen vieler alter und Freude viel mehr neuer Fans, und stand kurz vor der nächsten Richtungsänderung. "Folkmusik war nur eine Unterbrechung und sehr brauchbar", teilte Dylan damals britischen Medien mit - auf einer Tournee, bei der ihn alte Fans ausbuhten und neue, die nicht wegen "Blowin' In The Wind" gekommen waren, bejubelten.

Wie Dylan seinen Sound Mitte der Sechziger suchte und fand, dokumentiert nun "The Cutting Edge". Man hört auf CD, Sechs-CD-Boxset (mit Buch), Vinyl und einer hochpreisigen Collector's Edition faszinierende alternative Fassungen von Hits wie "Mr. Tambourine Man" (mit Drummer!), "Subterranean Homesick Blues" (akustisch) oder "Like A Rolling Stone" (u.a. als Walzer).

Eine komplette CD im toll aufgemachten und zusammengestellten Boxset enthält ausschließlich Versionen von "Like A Rolling Stone" - ganze 20. Wie anders wäre Dylans Karriere verlaufen, hätte er eine andere Fassung als die, die dann Musikgeschichte schrieb, zur Veröffentlichung ausgewählt, fragte das britische Musikmagazin "Mojo" unlängst. Wer überhaupt wissen möchte, was Dylan alles 1965 bis 1966 im Studio produziert hat, muss viel Geld für die Collector's Edition hinlegen. Diese wartet mit jeder(!) Dylan-Studioaufnahme aus dieser Zeit auf 18 Discs auf.

Bregenz-Konzert

Bob Dylan gastiert mit seiner Band am 15. und 16. November im Festspielhaus Bregenz. Es ist wieder ein anderer Dylan: Nach dem ersten Teil seiner diesjährigen Europatour hat der 74-Jährige noch mehr Stücke von seinem "Sinatra-Album" "Shadows In The Night" ins Programm genommen. In der Londoner Royal Albert Hall präsentierte sich Dylan unlängst sehr stimmig und intim. Die Reaktionen waren entsprechend euphorisch (außer bei einigen ganz wenigen, die noch immer den Folk-Barden erwarteten).

Infos zum Bregenz-Gastspiel:
http://go.apa.at/0EbobQxm

Buch zu Dylan und dem Newport Folk Festival: Elijah Wald, "Dylan Goes Electric!", englisch, HarperCollins, 354 Seiten)