Derzeit schütteln viele Fachleute den Kopf über die PISA-Seriensieger: Wie das Magazin "Der Spiegel" berichtet, sollen ab 2016 finnische Schüler im Unterricht nicht mehr so viel mit der Hand schreiben. Die Vermittlung der Schreibschrift wird aus dem Lehrplan der Grundschulen gestrichen.

"Flüssiges Tippen auf der Tastatur ist eine wichtige Fähigkeit", zitiert die "Helsinki Times" Minna Harmanen, die im finnischen Bildungsministerium die Richtlinien zum Schreibenlernen reformiert. Das sei natürlich eine große kulturelle Neuerung, räumt Harmanen ein, aber für die im täglichen Leben benötigten Fähigkeiten werde der Umgang mit einer Tastatur eben immer wichtiger. Im Übrigen sei es den Lehrern freigestellt, auch weiterhin Schreibschrift zu vermitteln - nur eben zusätzlich zum Tastaturschreiben.

Heftige Kritik

Bei deutschen Bildungsexperten stoßen die Pläne auf heftige Kritik. "Die Einübung von Handschrift in der Grundschule darf nicht zur Disposition gestellt werden", warnt gegenüber "Der Spiegel" etwa Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erzeihung (VBE): "Den Kindern darf unter dem Dach der Schule auf keinen Fall eine Beschränkung ihrer motorischen Fähigkeiten zugemutet werden." Für Deutschland könne die finnische Entscheidung - die ähnlich auch schon in den USA und der Schweiz diskutiert und teilweise auch schon umgesetzt wurde - kein Vorbild sein: "Bessere Lesbarkeit, die nur technisch erzeugt wird, taugt nicht als Lernziel in der Schule." Unstrittig ist: Auch deutsche Schüler haben Probleme beim Schreiben und beim Schrifterwerb, und diese Probleme sind nicht neu.

Buben haben mehr Probleme als Mädchen

"Lehrer beklagen, dass die Handschriften unleserlich sind, das Schriftbild nicht genügend ausgeformt ist und vor allem beim schnelleren Schreiben auseinanderfällt", sagt Marquard. Schon frühere Untersuchungen hätten gezeigt, dass etwa 30 Prozent der Buben und 15 Prozent der Mädchen "ernsthafte Schwierigkeiten beim Erlernen der Handschrift haben", so der Motorikexperte.

Das Schreiben mit der Hand sei laut Marquardt ein kognitiver und koordinativer Prozess, der weit über die reine Informationsverarbeitung hinausgehe. "Durch händisches Schreiben werden Lernen und Erinnerung verbessert", das Gehirn werde trainiert, so der Schreibforscher. Wer die verbundene Handschrift aus dem Unterricht verbannen wolle, "der verzichtet auf die Entwicklung kognitiver und koordinativer Fähigkeiten bei den Schülern."

Mehr Förderung schon im Kindergarten?

Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, will deshalb einen anderen Reformweg einschlagen, um zu besseren handschriftlichen Leistungen zu kommen: "Wir benötigen mehr Förderung der Grob- und Feinmotorik schon in den Kindertagesstätten und dann in den Grundschulen." Auch Marquardt plädiert für mehr Unterstützung der Kinder. Denn am Ende der vierten Klasse sei die Entwicklung der individuellen Handschrift erst etwa zur Hälfte abgeschlossen.


Welche Tipps kann er Eltern geben? Marquardt: "Zwei Faktoren sind entscheidend: das richtige Üben und die Motivation", sagt er. Stumpfes Nachmalen der immer gleichen Vorlagen sei deshalb genauso unsinnig wie die Vorstellung, auch ohne häufiges Üben werde sich schon irgendwann und irgendwie eine individuelle Handschrift beim Kind entwickeln. Sein Tipp: Eltern sollten ihre Kinder zum spielerischen Umgang mit dem Schreiben und den Buchstaben anregen. "Das kreative Herumexperimentieren trägt sehr zur Entwicklung einer eigenen Handschrift bei", sagt Marquardt. Man könne Buchstaben auch mal auf dem Kopf oder seitenverkehrt schreiben, um ihre Lesbarkeit zu testen. Schließlich lerne man auch durch solche Fehler.

Und zwei Ratschläge aus der therapeutischen Praxis hat der Motorikexperte auch noch: "Wer Probleme mit der Handschrift hat, sollte größer schreiben - das ist meistens günstiger. Und auch, wenn das in der Schule anders unterrichtet wird: Wer öfter mal absetzt, kann sich besser entspannen und bekommt häufig ein schöneres Schriftbild hin."