Nach dem Erdbeben auf der italienischen Urlaubsinsel Ischia haben Rettungskräfte auch das dritte verschüttete Kind aus den Trümmern eines Wohnhauses gerettet. Der elfjährige Ciro wurde am Dienstag rund 16 Stunden nach dem Beben geborgen. Zuvor war bereits Ciros achtjähriger Bruder Mattias gerettet worden. Bereits in der Nacht hatten die Rettungsmannschaften einen dritten Bruder, den sieben Monate alten Pasquale, und den Vater der Buben aus den Trümmern befreit. Die schwangere Mutter der Kinder hatte nach dem Beben die Einsatzkräfte alarmiert.

Ärzte: "Es ist ein Wunder"

"Ciro hat seinem jüngeren Bruder das Leben gerettet. Nach dem schweren Erdstoß hat er den Bruder unter das Bett geschoben. Mit einem Besenstock hat er so lange geklopft, bis ihn die Einsatzkräfte gehört haben", berichtete ein Mitglied des Rettungsteams. Als Ciro aus den Trümmern befreit wurde, ertönten Freudenrufe und Applaus. Das Kind habe Probleme mit den Beinen, die lange eingeklemmt waren. Der Bub habe außerdem viel Staub geatmet. "Alle beiden Kinder waren sehr mutig", berichtete die Ärztin Monica Intagliazzo, die die Buben behandelte.

Die drei Brüder sind wohlauf. Lediglich der älteste Bub, der elfjährige Ciro, habe einen gebrochenen Fuß. "Es ist ein Wunder, sie sind alle drei gesund", berichteten die Ärzte des Krankenhauses von Ischia, in dem die drei Kinder behandelt wurden. Sie könnten wahrscheinlich schon Mittwoch aus der Klinik entlassen werden, sagten die Ärzte.

An der Rettungsaktion beteiligt war eine Feuerwehrfrau, die schon im Jänner an der Bergung von Kindern unter den Trümmern des Hotels Rigopiano in der Region Abruzzen teilgenommen hatte. "Wenn man die Kinder lebend rettet, ist die Freude immens", berichtete sie.

Mindestens zwei Menschen starben

Ein Erdbeben der Stärke 4,0 hatte die italienische Urlaubsinsel Ischia Montagabend mitten in der Hochsaison erschüttert. Mindestens zwei Menschen starben, 42 Personen wurden verletzt. Eine der beiden Frauen wurde von herabstürzenden Teilen einer Kirche erschlagen, die andere tot aus den Trümmern ihrer Wohnung geborgen. 2600 Menschen sind obdachlos. 

Ein Schwerverletzter wurde mit dem Hubschrauber in ein Krankenhaus von Neapel geflogen, eine weitere Person befindet sich in kritischem Zustand. Das Spital der Insel Ischia wurde evakuiert. Dutzende Gebäude stürzten ein. "Es sieht aus, als wäre Casamicciola bombardiert worden", berichtete eine Zeugin. Der Teil der Insel unweit des Hafens blieb allerdings zum Großteil unversehrt.

Bewohner in Panik auf Straße gelaufen

Zum Zeitpunkt des Beben befanden sich 250.000 Touristen und 60.000 Einheimische auf der Insel. Besonders betroffen waren die Orte Casamicciola und Lacco Ameno. Auf Fotos waren eingestürzte Häuser und Menschen auf der Straße zu sehen. Touristen und Bewohner seien in Panik auf die Straße gelaufen, berichteten italienische Medien. Auch soll mancherorts der Strom ausgefallen sein und Hotels geräumt worden sein. Der Zivilschutz berief ein Sondertreffen ein. Bewohner erzählten, sie würden die Nacht im Freien verbringen. Für sie wurde im Ort ein Fußballstadion geöffnet.

Die Behörden stellten noch in der Nacht im Hafen von Ischia und in Casamicciola drei Fähren bereit, um verschreckten Urlaubern und Besuchern ein Verlassen der Insel zu ermöglichen. Die erste Fähre in Richtung Neapel legte bereits in den frühen Morgenstunden ab.

"Es hat alles angefangen zu wackeln, alles ist heruntergefallen (...). Häuser sind eingestürzt. Es gibt Vermisste, ein Chaos", erzählte eine Augenzeugin laut Nachrichtenagentur ANSA. "Es ist das Schlimmste, was mir je passiert ist." Seit dem Erdstoß am Montagabend wurden 20 stärkere Nachbeben registriert. 

2600 Menschen obdachlos

2600 Menschen sind nach dem Erdbeben obdachlos. Das gab der italienische Zivilschutz bekannt. Die meisten Obdachlosen wurden in einer Sporthalle in der Nähe von Casamicciola untergebracht.

Die Insel mit vulkanischem Ursprung ist vor allem im Sommer sehr beliebt bei Urlaubern. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel macht dort regelmäßig Osterurlaub. Die Insel liegt in der Nähe der Phlegräischen Felder, die zu den weltweit wenigen Dutzend sogenannten Supervulkanen zählen. Im Jahr 1883 kamen bei einem Beben auf Ischia rund 2300 Menschen ums Leben.

Italien wird immer wieder von teils verheerenden Erdbeben heimgesucht. Vor fast genau einem Jahr, am 24. August, erschütterte ein schweres Beben die mittelitalienische Region um die Stadt Amatrice. 299 Menschen starben.

Touristen stürmen Fähren nach Neapel

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Zum Zeitpunkt des Bebens befanden sich 250.000 Touristen auf Ischia. Sie haben eine Nacht der Angst erlebt. Hunderte Ausländer verbrachten nach dem Erdbeben die Nacht im Freien. In mehreren Hotels fiel der Strom aus, Pensionen wurden geräumt. Viele Touristen bestürmten die Fähren nach Neapel. Lange Schlangen bildeten sich am Hafen. Auch mehrere Bewohner der Insel verließen Ischia und zogen zu Verwandten. Die Abreise wurde vom Zivilschutz organisiert. Österreicher waren von dem Beben nicht unmittelbar betroffen. Auf der Insel leben zwei Landsleute, die sich nach Angaben des Außenministeriums am Montag in Österreich befanden. Ihre Wohnungen wurde nicht beschädigt. 

Hunderte Soldaten und Rettungsteams im Einsatz

Hunderte Soldaten und Rettungsteams waren am Dienstag im Einsatz, um der Bevölkerung Hilfe zu leisten. Eingesetzt wurden auch Spürhunde, die aus der Region Kampanien mit der Hauptstadt Neapel eintrafen. Premier Paolo Gentiloni kondolierte den Familien der Opfer. "Wir stehen auf der Seite der Rettungseinheiten", twitterte Gentiloni. 

Soldaten befreiten verschüttete Straßen vom Geröll. Der Zivilschutz errichtete Zelte in Casamicciola, der am stärksten betroffenen Ortschaft. Im Laufe des Dienstags sollten Organisationen und freiwillige Helfer aus anderen italienischen Regionen eintreffen. Italien kann mit einem großen Netzwerk an freiwilligen Helfern - rund 1,2 Millionen Menschen - rechnen, etwa vom Roten Kreuz oder der Freiwilligen Feuerwehr. Das evakuierte Krankenhaus von Ischia wurde inzwischen wieder geöffnet.

Europäische Union bietet Hilfe an

Nach dem Erdbeben hat die EU-Kommission in Brüssel Italien Hilfe angeboten. Das rund um die Uhr besetzte Nothilfe-Koordinantionszentrum der EU stehe seit den Morgenstunden in Kontakt mit den italienischen Zivilschutzbehörden, erklärte der für humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissar Christos Stylianides am Dienstag.

"Wir sind bereit für jegliche sofortige Unterstützung, welche die nationalen Behörden brauchen", erklärte der EU-Kommissar. Die EU stelle Italien auch Satellitenaufnahmen aus ihrem Copernicus-Erdbeobachtungsprogramm zur Verfügung. Der EU-Kommissar lobte den Einsatz der italienischen Rettungskräfte, diese seien "ein Beispiel für uns alle".

Serie von Nachbeben wird erwartet

Nach schweren Erdbeben rechnen Seismologen mit einer Serie von Nachbeben. Die Erdstöße könnten sogar noch monatelang andauern. Der Präsident des italienischen Instituts für Geologie und Vulkanologie (INGV), Carlo Doglioni, kritisierte mangelnde Vorsorge: Die Immobilien auf Ischia würden nicht antiseismischen Kriterien entsprechen, daher seien die Schäden groß. "Die Italiener müssen begreifen, dass wir in einem geologisch besonders vitalen Gebiet leben. Wir müssen mit dem Problem der Erdbeben leben und dementsprechende Vorbeugungsmaßnahmen ergreifen", so Doglioni.

Experten machen illegale Bauten und wildes Zementieren für die schweren Schäden mitverantwortlich. "Ein Großteil der Gebäuden, die in den vergangenen Jahren auf der Insel errichtet wurden, sind gesetzwidrig", sagte Ex-Staatsanwalt Aldo De Chiara. Bausünden in Italien rächen sich bitter, warnten auch Experten des Zivilschutzes. Durch Naturkatastrophen seien in Italien seit dem Erdbeben in L'Aquila 2009 Schäden in Milliardenhöhe entstanden.

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Die Regierung bekräftigte ihr Vorhaben, in Italien den Bau erdbebensicherer Gebäude zu fördern. Ein Plan dazu war schon nach dem Erdbeben im Mittelitalien vor einem Jahr präsentiert worden. Er müsse zügiger umgesetzt werden, heißt es nun in Rom.

24 Millionen Italiener in Gebieten mit Erdbebenrisiko

Fast drei Millionen Menschen leben in Italien in Gebieten mit einem hohen Erdbebenrisiko, während 21 Millionen Bürger in Regionen mit einem leicht erhöhten Risiko wohnen. Es gebe aber kaum Prävention. Man unterschätze die Erdbebengefahr, während man lernen sollte, damit zusammenzuleben, so Doglioni. Auf seismisch aktiven Gebieten befinden sich laut dem Experten zwölf Millionen Privatwohnungen und sechs Millionen öffentliche Gebäuden in Italien. Besonders gefährdet seien Kommunen entlang des Apennins.

Investitionen in erdbebensichere Baustandards seien der einzige Weg, um sich vor der Gefahr zu schützen. 60 Prozent der Immobilien in Italien seien vor 1971 errichtet worden, drei Jahre vor Einführung eines Gesetzes, das antiseismische Standards in der Bauwirtschaft eingeführt hat. In Europa sind Italien und Griechenland die am meisten gefährdeten Gebiete. Sie liegen in der weltweit größten Erdbebenzone, die von West- und Mitteleuropa bis nach China reicht, berichteten die Geologen. Dort treten immer wieder tektonische Beben auf. Die Ursachen liegen in gebirgsbildenden geologischen Kräften, so die Forscher.